"Exstruxit quoque pulchrum illud aedificium"
Ein Haus für Handwerk, Vieh und Gesinde, Bier, Getreide, für Flugblätter, Zeitungen, Bücher, Ausstellungen und Veranstaltungen

In einer Grenzlandgegend wie der unsrigen hat man nicht oft die Gelegenheit, angesichts der Kontinuität der mehr als 500jährigen Existenz eines Gebäudekomplexes wie dem Hofgebäude in Wadgassen dessen unterschiedliche Nutzungen näher zu beleuchten. Lassen sich dabei einerseits unschätzbare Erkenntnisse darüber erzielen, wie die verschiedenen Verwendungen auch  Aufschlüsse über unsere eigene Geschichte geben können, sind sie andererseits auch Ausdruck früherer Lebenswelten, die zeigen können, wie unsere Vorfahren gelebt und gearbeitet haben.

Es ist vor allem Josef Burg zu danken, sich der Geschichte Gebäudekomplexes in einem ausführlichen Aufsatz angenommen zu haben.  Er hat gezeigt, wie sich so in detektivischer Kleinarbeit aus der überlieferten Annalen-Darstellung des Klosters aus dem Jahre 1743, aber auch aus alten Klosterrechnungen, Urkunden und weiterem Material Informationen zum Hofgebäude und den angrenzenden Bauten innerhalb des Klosters erschließen lassen. Eine bisher wenig beachtete Einzelheit scheint besonders erwähnenswert für seine – auch bezogen auf das Saarland und die gesamte Region – besondere Einzigartigkeit. Im Prager Exemplar der Wadgasser Klosterannalen  lesen wir bei der Beschreibung der wichtigsten Ereignisse und Begebenheiten während der Regentschaft von Abt Johannes von Tholey (Die Regierungszeit des 22. Abtes des Wadgasser Klosters war von 1510-1524) den bereits im Titel dieser Abhandlung angedeuteten Abschnitt , der von der Errichtung eines schönen Gebäudes spricht, das für sehr unterschiedliche Zwecke genutzt wurde und das man als das ursprüngliche Hofgebäude ausmachen kann. Die Annalen erwähnen als Nutzungsarten des unter Johannes neu errichteten Gebäudes nicht nur den Wohnraum für die Klosterbediensteten, sondern auch einen zweistöckigen großen Kornspeicher (heute der Abteisaal), die Einrichtung eines Backhauses, einer Mühle und nicht zuletzt einer Bierbrauerei, die sich zunächst im südwestlichen Teil des Hofgebäudes befunden hat. Besonders die Erwähnung der Bierbrauerei ist eine kleine Sensation, setzt diese doch voraus, daß etwa im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts – also zu dem Zeitpunkt der Überlieferung des bayerischen Reinheitsgebots (etwa 1516) – in Wadgassen bereits Bier gebraut wurde. Dies ist sicher keine Besonderheit für ein Kloster, denn vielerorts verwendete man Bier als ein Getränk, das wegen seiner Nahrhaftigkeit auch während der Fastenzeiten innerhalb des Kirchenjahres getrunken werden durfte. Das qualitativ hochwertige Wasser aus dem gewölbten Brunnen, aus denen die verschiedenen Klosterbrunnen gespeist wurden und dessen sich das Kloster problemlos  bedienen konnte, eignete sich zusätzlich besonders gut zur Herstellung von Bier. Mit dieser Erwähnung einer Brauerei im Zusammenhang mit dem Hofgebäude in Wadgassen läßt sich also eine Bierbrauertradition für Wadgassen nachweisen, die mindestens bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückreicht und sicher schon vorher existiert haben muß. Als Wirtschaftstrakt umschlossen die zum ‚Hof‘ gehörigen Gebäudeteile den weltlichen Klosterhof, der den eigentlichen Klostergebäuden gegenüber lag und ausreichend Platz bot für allerlei Werkstätten und Wohnraum, aber auch für Viehställe und den bereits erwähnten Getreidespeicher. Eine bauarchäologische Untersuchung, die im Zuge der Sanierung des heute noch sichtbaren Hofgebäudes Anfang der 90er Jahre durchgeführt wurde, erbrachte viele interessante Erkenntnisse über die Nutzungsarten des Komplexes. Christel Bernard erläutert in ihrem Ergebnisbericht  u.a., daß die im Stich von Johann Georg Weiser aus dem Jahre 1736 angeführten Werkstätten und Nutzungen für den Hof auch tatsächlich bestanden haben müssen. So wurden neben einer dort bereits bezeichneten Schmiede, die Fundamente des bereits erwähnten Backhauses lokalisiert. Ebenso konnte auch die exakte Lage der Klostermühle bestätigt werden. Am kuppelförmigen Ofen des Backhauses entdeckte man im „Raum zwischen der äußeren Ummauerung und der Kuppel (…) Überreste einer Zierarchitektur aus Jaumontstein in spätgotischem Stil“ , die sich leicht zeitlich in die erste Bauphase unter Abt Joannes datieren lassen. Zwei weitere Details ergeben sich zusätzlich aus diesen Untersuchungen. Die im erwähnten Stich sichtbaren Treppentürme konnten ebenfalls nachgewiesen werden, denn ein spezielles Fundament, das ins 18. Jahrhundert datiert werden konnte, bestätigt die Darstellungen Weisers, insbesondere für den nördlichen Treppenturm. Auch die Klosterbrauerei ist auf dem Stich bezeichnet. Anders als der in den Klosterannalen beschriebene Südwestflügel lokalisiert Weisers Legende das Brauhaus unter Punkt 23 als Praxatorium im nördlichen Verbindungstrakt zwischen Hofgebäude und der übrigen Klosteranlage in direkter Nachbarschaft zu Backhaus und Klostermühle. Man muß also von einer nachweisbaren brauerischen Kontinuität im Wadgasser Kloster seit dem ausgehenden Mittelalter ausgehen.

Nach wechselvoller Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert diente das Gebäude sowohl als Gutsverwaltung, als auch als Wohnhaus, wozu es vor allem für die wachsende Zahl der Beschäftigten der Glasmanufaktur, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem ehemaligen Klostergelände gegenüber entstanden war, Verwendung fand. Daß ein so altes Gebäude, das zudem noch aus der Klosterzeit stammte,  zu allen Zeiten Anlaß für allerlei geheimnisumwitterte Geschichten und Erzählungen von mitunter seltsamsten Erscheinungen gab, die die Phantasie der Menschen beflügelte, ist nicht weiter verwunderlich. In freier Gestaltung hat Johannes Kirschweng auch diesem Gebäude ein literarisches Denkmal gesetzt. Seine Erzählung ‚Die Taufe‘  beschreibt sehr genau die Stimmung, die einen Besucher in dem weiträumigen Gebäude beschleichen konnte: „Die Luft in dem Haus war schwer zu atmen. Mochte man die kleinen Fenster auch stundenlang geöffnet halten, es drang nicht genug von dem Hauch der Gärten und Äcker hinein. Der Odem des Hauses blieb schwer, durchtränkt mit bitteren Gerüchen wie von betäubendem Kräuterrauch, Tinkturen und scharfen Salben.“  Der heute weiträumig und hell erscheinende Sitz des Deutschen Zeitungsmuseums und des Abteisaales im nördlichen Dachgeschoß geben da ein verändertes Bild. Bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts Wohnhaus und Lebensraum für zahllose Familien, die in Bezug zur Glashütte standen, entstand um das seit 1983 als denkmalgeschützt ausgewiesene Gebäude eine Sanierungsinitiative, die beabsichtigte, das ehemalige Wirtschaftsgebäude zu einer modernen Wohnanlage umzubauen, die auch der historischen Bausubstanz Rechnung tragen sollte. Aus dem mit dieser Idee verknüpften Vorhaben, neben Wohnungen auch ein Kulturzentrum und eine Einrichtung rund um das Buch zu etablieren  entstand schließlich ab Herbst 2002 die bis heute fortdauernde Nutzung des Hofgebäudes als ‚Deutsches Zeitungsmuseum‘ innerhalb der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz , die heute neben der Gemeinde Wadgassen Haupteigentümer des Gebäudekomplexes ist. Der in unmittelbarer Nähe zur Schauglashütte und dem Erlebniszentrum Glashütte der Firma Villeroy & Boch gelegene Abteihof stellt mit seiner Hauptattraktion des Deutschen Zeitungsmuseums eine nicht nur für das Saarland, sondern auch für die gesamte Großregion einmalige Einrichtung dar, die mit ihren vielfältigen Ausstellungs- und Informationsangeboten eine ähnliche Ausstrahlung erreicht, wie sie die ehemalige Prämonstratenserabtei über Jahrhunderte inne hatte. Die kürzlich erfolgte Ankündigung der Firma Villeroy & Boch, die Schauglashütte und das Erlebniszentrum in Wadgassen zu schließen, beendet für immer die zeitlich zweite maßgebliche Nutzung des Terrains in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Guts- und Wirtschaftshofes des Wadgasser Prämonstranserklosters als Glas- und Christallmanufaktur mit weltweiter Ausstrahlung. Ihr größter Schatz, die maßstabsgetreue Nachbildung Abtei aus Wadgasser Christall, aufgrund des  überlieferten Stiches von Johann Georg Weiser aus dem Jahre 1736 nachgebildet, wird dann wohl für immer aus Wadgassen verschwunden sein – ein schwarzer Tag für die so wichtige Erinnerungskultur in dem historisch auch für die gesamte Großregion so bedeutsamen Wadgassen. Die aus der ursprünglich wirtschaftlichen Verwendung im Laufe der Jahrhunderte erfolgte Nutzung des Wadgasser Hofgebäudes als Wohnhaus und schließlich als eine vielbeachtete kulturelle Einrichtung mit Ausstrahlung nach dem übrigen Deutschland und über Grenzen hinweg in die Großregion nach Lothringen und Luxemburg ist nicht nur begrüßenswerte Fortsetzung der Wadgasser Abteigeschichte mit kulturellen Mitteln, sondern auch im Jahr der 875ten Wiederkehr der Wadgasser Klostergründung ein Zeichen für kulturelle Identität, Kontinuität und gleichzeitige Mahnung, das kulturelle Erbe Wadgassens nicht dem Vergessen, der Unwissenheit oder Ignoranz der gegenwärtigen Zeitläufte anheimfallen zu lassen.

 

Literaturverzeichnis

Breviarium Sive Compendium Omnium Fundationeum Præcipuarum & Anniversariorum ab Origine Wadegotiæ Factorum Formam Referens Annalium. Begonnen und zusammengestellt von Conradus Piscator. Wadgassen: Prämonstratenserabtei Wadgassen, 1743

Bernard, Christel: Das ehemalige Wirtschaftsgebäude der Prämonstratenserabtei Wadgassen. IN: Miron, Andrei (Hrsg.): Weinpokal und Rosenkranz. Archäologisches aus Burgen und Kirchen des Saarlandes. (Ausstellungskatalog) Saarbrücken: Museum für Vor- und Frühgeschichte, 2000, S. 117-119

Burg, Josef: Der „Hof“ in Wadgassen. IN: Volksbank Wadgassen e.G.: Geschäftsbericht 1988. S. 14-20

Löw, Hans (Hrsg.): Wadgasser Heimatblätter. Mai/Juni 1994. Wadegotia – Vivat et Floreat. Beilage Wadgasser Nachrichten, 1994

Münch, Dr. Roger: Desertum florebit quasi lilium. Ein historischer Streifzug durch die wechselvolle Entstehungsgeschichte einer Kultureinrichtung zwischen Wunsch und Wirklichkeit. IN: Verein für kulturelle und geschichtliche Arbeit im Bisttal e.V. (Hrsg.): Villa Wadegozzinga, Wadegotia, Wadgassen. 1100 Jahre Wadgassen (902-2002). Texte zur Geschichte und Kultur des Wadgasser Raumes im Jubiläumsjahr. (=Wadgasser Schriften zur Kultur und Geschichte). Wadgassen: Verein für kulturelle und geschichtliche Arbeit im Bisttal e.V., 2002, S. 109-119

Tritz, Michael: Geschichte der Abtei Wadgassen zugleich eine Kultur- und Kriegsgeschichte der Saargegend. Wadgassen: Selbstverlag des Verfassers, 1901

Wadgasser Hof. Dokumentation zum Bauforschungs- und Sanierungsprojekt am Wirtschaftsgebäude der ehemaligen Prämonstratenserabtei. Herausgegeben vom Landkreis Saarlouis, Dezernat I. Saarlouis: Landkreis Saarlouis, o.J.

 

 

 

Anhang

Q1

(aus: Breviarium Sive Compendium…, a.a.O, p. 117f)

Exstruxit quoque pulchrum illud ædificium usibusque Monasterii accomodatissimum ad Occidentalem partem situm ; cujus anterior medietas inferius Cerevisia parandæ destinata posterior vero pistrino accomodata: Necessaria omnibus optissimaque praebet habitacula, omnia etiam firmissimus fornicibus tecta geminae vero contignatinonus, granaria faciunt amplissima, adjacet huic molendinum ad quod frumenta per Canales abisque ullo speciali transfundebantur labore Pistoris Molitoris maximum solatium.

Übersetzung (Josef Burg: Der „Hof“ in Wadgassen, a.a.O., S. 15)

[Abt Johannes Tholey] hat das schöne Gebäude errichtet, das sich nach Westen erhebt und für das Wirtschaftsleben des Klosters sehr wichtig ist. Die vordere Hälfte  enthält unten eine Bierbrauerei, die hintere Hälfte eine Bäckerei und für das Personal des Klosters den nötigen Wohnraum. Das Ganze ist mit einem äußerst festen Gewölbe überdacht und dient in zwei Stockwerken als Getreidespeicher. Daran schließt sic h eine Mühle an, bei der das Getreide ohne besonderen Arbeitsaufwand durch Rinnen oder Röhren transportiert wird, für Müller und Bäcker eine sehr große Erleichterung.

 

 

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Patrik H. Feltes, M.A. [p.feltes@wadegotia.info]