Bücher aus der
Wadgasser Klosterbibliothek
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Eine ernstgemeinte Aufforderung zur Suche
Nur weniges ist bekannt über die Klosterbibliothek in der ehemaligen Wadgasser Abtei. Die oft reproduzierte Darstellung eines Stiches der Abtei aus dem Jahre 1736[2] vermerkt ausdrücklich unter Punkt 11 der Legende am linken Bildrand: Bibliotheca (vgl. hiezu nebenstehender Ausschnitt). Weiters wissen wir, daß nach Einsturz eines Kreuzgang-

flügels im Jahre 1719 ein Bibliotheksneubau südlich des Kreuzganges aufgeführt wurde und bis 1721 fertiggestellt war[3]. Zeitbedingt wird es sichum einen hoch- bis spätbarocken Bibliotheksraum gehandelt haben, über den wir leider keinerlei detailiertere Angaben besitzen[4]. Daß eine Bibliothek von nicht unbeträchtlichen Ausmaße im Wadgasser Kloster vorhanden war, bedingt die Tatsache, daß die klösterliche Ausbildung undErlernung theologischer und praktischer Inhalte für jeden Chorherren obligatorisch gewesen ist. Neu ins Kloster Eingetretene wurden in den Gegenständen des Triviums (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) und des Quatriviums (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) unterrichtet[5]. Für eine Abtei, bei der es nicht selten war, daß gleichzeitig weit mehr als 50 Conventualen wohnten und arbeiteten, muß die Existenz einer eigenen Bibliothek nicht nur angenommen, sondern als bedeutend betrachtet werden. Neben den Grundkenntnissen erwarben die Chorherren alle weiteren Fähigkeiten, die zur späteren Arbeit in den Pfarreien, die zum Wadgasser Einflußbereich gehörten, nützlich waren. Diese Ausbildung befähigte sie zur Erfüllung der priesterlichen Pflichten, aber auch zur Führung der dort vorhandenen Wirtschaftsbetriebe, der stellvertretenden Ausübung der Rechte des Abtes als Grundherr oder einfach zur Schlichtung von Streitigkeiten von Bewohnern der ausgedehnten Abteibesitzungen. Hierfür wurden genauso Bücher benötigt wie für die zur Aus- und Weiterbildung notwendigen Schriften der Theologie und Philosophie oder Werke, die praktische Anleitungen für Alltägliches beinhalteten. Auch historische und juridische Werke waren für das Studium unabdingbar. Sicherlich waren neben Titeln aus den genannten Bereichen auch die Standardwerke der oben bezeichneten Disziplinen vorhanden, denn man "las alle Klassiker"[6] aus der Antike und vor allem auch die zeitgenössischen Werke christlichen Inhalts.
 

Plünderung, Vernichtung und Wiederherstellung
Die Plünderungen und Verwüstungen des 30jährigen Krieges haben definitv auch die Buchbestände in Wadgassen stark dezimiert. Johannes Adami - Abt in Wadgassen seit 1667 - war bestrebt, auch diese Notlage der Abtei zu lindern.Er schickte die Chorherren Petrus Marx (er wurde später Abt von 1677-1705) und Conradus Piscator (ursprünglich aus Bous stammend fungierte er als Archivar und Chronist der Abtei, später als Conventsältester) zur Generalversammlung des Ordens nach Prémontré mit der Anweisung, die dort zusammenkommenden Vertreter der Abteien in Frankreich, Flandern, Belgien um Spenden für Wadgassen zu bitten. Sie bringen von ihrer Reise schließlich Geld, Geräte und Kleidungsstücke - vor allem aber Bücher - mit, die einen besonderen Wert
[7] darstellten. Piscator selbst berichtet in seinen Annalen der Abtei, daß diese Bücher Glanzstücke der Wadgasser Bibliothekt[8] ausmachten. Nach Übergriffen einer Revolutionssoldateska aus Saarlouis drei Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution verließen die Wadgasser Chorherren fluchtartig ihr Kloster. Die aufgelassenen Abteigebäude waren nun Plünderungen, Feuer und Raubzügen ausgesetzt. Alles was nicht niet- und nagelfest war, wurde geraubt. Selbst die Steine der Gebäude wurden abgetragen und zum Bau neuer Häuser in den umliegenden Orten verwendet.

In alle Winde zerstreut...
Währenddessen ist auch die Bibliothek verlorengegangen. In dieser Zeit oder wenig später kamen auf bisher nicht bekanntem Weg 13 Inkunabeln
[9] aus Wadgasser Besitz in die Stadtbibliothek Metz, in denen sich der Vermerk 'Bibliotheka Vadegotiensis' befindet. Fünf dieser Bücher wurden leider am Ende des 2. Weltkrieges zerstört. Ein erhalten gebliebener Katalog verzeichnet jedoch noch die gesamten 13 Titelt[10]. Neben drei Bibelausgaben (z.B. 'Biblia Latina' aus dem Jahre 1487) und einem zeitgenössischen grammatischen Werk finden sich vor allem Klassiker der Predigtliteratur (z.B. Johannes von Quedlinburg: Sermones de tempore (1483)) und weitere theologische Schriften. Ebenfalls vorhanden ist die seinerzeit sehr populäre 'Scala Coeli' des Johannes Gobius unter den Bänden, die eine beliebte Beispielsammlung von Geschichten und Erzählungen zur Illustration christlich-theologischer Inhalte darstellt. Ein interessanter Sammelband, bei dem drei verschiedene Bände zu einem zusammen-gebunden wurden, enthält das Buch 'Liber marescalcia seu de natura ... equi' des Laurentius Rusius, das sich mit der Natur und den Krankheiten der Pferde beschäftigt. Ein Curiosum ist der zweite beigebundene Band mit dem Titel 'De secretis mulierum et virorum' (von den Geheimnissen der Frauen und der Männer), das Albertus Magnus zugeschrieben wurde. Das Buch war seit 1603 von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt worden und behandelt Themen, die sich mit dem Eheleben beschäftigen. In 12 Kapiteln wird nicht nur über das angeblich durch die Frauen bedrohte Seelenheil der Männer räsoniert, sondern nach astrologischen Kriterien ausgerichtete Anleitungen zu Schwangerschafts- und Sterilitätsproben, Missgeburten oder Gebärmutterinsuffizienzen angeführt bis hin zur Entwicklung des Spermas. Trotz Indizierung ist es nicht ungewöhnlich, daß sich ein solches Buch zu praktischen Gesundheits- und Hygienefragen in der Wadgasser Bibliothek befunden hat, das Kloster unterhielt ja auch ein Hospital. Die Tatsache, daß wir das Buch nur beigebunden finden, mag jedoch auf die Vorsicht der Bibliothekare schließen lassen, ein auf dem Index stehendes Buch im Bestand zu haben. Das dritte beigebundene Werk wird als 'Visio Tnugdali' angegeben, ein früher Druck eines im Mittelalter weit verbreiteten Werkes ursprünglich irischer Herkunft, in dem u.a. eine Vision des Paradieses geschildert wird, die, von Ritter Tnugdal aufgezeichnet, als eine Vorläuferin der Paradiesschilderung in Dantes 'Göttliche Komödie' gelten kann. Die hier nur kurz erwähnten Bücher aus der ursprünglichen Wadgasser Klosterbibliothek lassen zwar nicht zwingend Aussagen zu dem Gesamtbestand der klostereigenen Büchersammlungen zu, geben jedoch einen ersten Eindruck der Vielfalt der stiftseigenen Buchbestände, über die sich vielleicht zukünftig noch weitere Informationen zusammentragen lassen.

 

 

Anmerkungen

[1] erweiterte Fassung eines für die 'Wadgasser Nachrichten' im September 2002 geschriebenen Beitrags
von Patrik H. Feltes
[2] Der Stich stammt von dem Luxembourger Kupferstecher Johann Georg Weiser und ist mit dem Jahr 1736 (vgl. Abbildung) gekennzeichnet
[3] Skalecki, Georg: Baumeister und Bauhandwerkern beim barocken Neubau der Prämonstratenserabtei Wadgassen. In: Kurtrierisches Jahrbuch 33, 1993, S.159-175 (zugleich auch als InterNetz-Veröffentlichung unter http://www.skalecki.de/Georg/Publikationen/Dokument_3/body_dokument_3.html) 
[4] ein genauerer Blick auf den bereits erwähnten Stich aus dem Jahre 1736 localisiert die Position 11 'Bibliotheca' im Osttract des Abteibaues, was mit den vorhergehenden Ausführungen nicht ganz übereinstimmt. Möglicherweise ist hier die Zahlenangabe auf dem Stich ungenau.
[5] Tritz, Michael: Geschichte der Prämonstratenserabtei Wadgassen (...). Wadgassen: Selbstverlag, 1901 [ND 1978], S. 402
 

[6] Backmund, Norbert (OPraem): Geschichte des Prämonstratenserordens. Grafenau: Morsak, 1986, S. 53. Nebenstehende Abbildung zeigt die Sieben Freien Künste dargestellt am Beispiel einer Flageolett-Flöte, die ebenso als typographische Form verwendet wird. Die Darstellung von Geoffrey Tory stammt aus dem Jahre 1529. Die Form der Flöte und die Löcher beziehen sich auf die Buchstaben 'I' und 'O'. Die Darstellung soll die Harmonie zwischen den einzelnen Disziplinen auf diejenige der Größen- verhältnisse und der typographischen Form übertragen

.artes liberales

[7] Burg, Josef: Conradus Piscator - Chorherr aus Bous. IN: Prämonstratenserabtei Wadgassen. 1135-1792. Beiträge zur Abtei- und Ordensgeschichte. Wadgassen: Kath. Kirchengemeinde, 1985, S. 90f
[8] ebda, S. 91
[9] Inkunabel (= Wiegendruck) Bezeichnung für frühe Drucke mit beweglichen Lettern aus der Zeit vor  dem Jahre 1500
[10] siehe bei: Flesch, Stefan: Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter. Saarbrücken, 1991, S. 166ff. Dort ist die vollständige Liste der Metzer Bücher aus Wadgasser Besitz abgedruckt

 

Letzte Änderung: 02. September 2002

 

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Patrik H. Feltes, M.A. [p.feltes@wadegotia.info]